Montag, 11. Juli 2005

Aus dem Archiv: Am Kamin - Gehobene Bodenständigkeit

Der Text erschien erstmals in "Essen geht aus 2005/2006".
Das Restaurant gibt es nicht mehr. Seit 2017 befindet sich hier das indische Restaurant "Namasthe".

Der Leinwebermarkt in Essen-Werden ist ein hübsches Ensemble von Fachwerkhäuschen vor den Toren der Folkwangschule, das die Zeitläufe fast unbeschadet überstanden hat. So ziert mit gewisser Chuzpe ein neckischer Sinnspruch das Restaurant Am Kamin, das in einem schieferverkleideten Häuschen aus dem Jahr 1784 untergebracht ist: „Gott schütze diese Haus vor Feuer, vor Stadtplanung und Steuer". Das heimelige Gasthaus wirkt von außen kleiner als von innen. Die verwinkelte Gaststube rund um den namensgebenden Kamin eröffnet immer neue Ecken, in denen im antiken Landhausstil die Tische geschmackvoll eingedeckt sind. Letztes Jahr kam noch ein im mediterranen Stil dekorierte Raum dazu, der den alten Traditionsnamen „Im aulen Winkel“ trägt.

Schon immer war das Restaurant in der Nachbarschaft verankert, wenn sich durchaus auch Promis wie Jürgen von Manger, Pina Bausch oder Jürgen Roland im Gästebuch verewigten, die etwa den Kartoffelsalat der ehemaligen Wirtin Wilma schätzten. Seit Daniel Sommer, der früher im Jagdhaus Schellenberg kochte, den Laden übernommen hat, ist ein Anklang gehobener Küche in das Haus gezogen. So gibt es eine hübsche Auswahl an Rohmilchkäsen zum Dessert, ein Weinkarte mit nicht unbedingt besonders edlen, aber leckeren Tropfen und einen Humidor mit Zigarrenspezialitäten.

Die Bodenständigkeit ist dabei jedoch nicht abhanden gekommen. Dafür sorgt schon die leutselige Bedienung, die einen fürsorglich in Empfang nimmt. Gleich zwei Lammgerichte stehen auf der Karte, „Lammhaxe mit mediterranem Gemüse und Gnocchi“ sowie „Lammrücken in Kräutersenfkruste mit grünen Bohnen in Knoblauchsahnesauce, Kräuterkartoffelplätzchen“ (EUR 16,95). Da mir aber mehr nach Mittelmeer ist, frage ich, ob ich den Lammrücken auch mit den Beilagen der Haxe bekommen kann. „Natürlich geht das auch mit Gnotschi“, antwortet die Bedienung. Und dank der liebenswürdigen revier-typischen Aussprache des italienischen Wortes weiß ich plötzlich, warum laut Speisekarte die Poulardenbrust unseres zweiten Hauptgerichtes mit „Rosmarien“ und Ziegenkäse gefüllt ist und die „Crème brullee“ leider alle ist. Ob Rosmarie gebrüllt hat, als man sie in die Poularde steckte?

Doch Spaß beiseite. Der Lammrücken war hervorragend gebraten und auf dem Ratatouille-artigen Gemüse hübsch angerichtet. Die Gnocchi schienen mir zwar nicht hausgemacht, doch das störte in der angenehmen Atmosphäre des Hauses nicht. Auch die Poulardenbrust (EUR 13,90) war ein kleines Gedicht, denn die Rosmarin-Ziegenkäse-Füllung wurde von einer Honigmelonensauce begleitet, was der ganzen Sache einen exotischen Touch gab. Als Vorspeisen hatten wir ein „Arrangement von Blattsalaten in Balsamicomangovinaigrette mit gebratenem Ziegenkäse und Baguette mit Feigenconfit“ (EUR 7,60) und ein „Carpaccio“ (EUR 9,20) bestellt und wurden nicht enttäuscht. Der Salat war ein schön fruchtiger Einstieg ins Menü, und die klassischen hauchdünnen Rindfleischsscheiben mit Parmesan und Rucola hätten bei jedem Italiener überzeugt.
-kopf

Essen-Werden, Leinwebermarkt 7

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