Der Text erschien erstmals in "Bochum geht aus 2012".
Ganz tief im Weitmarer Holz wird Bochum sagenhaft. Am Bliestollen, wo sich das alte Gemäuer des Malakowturms der Zeche Brockhauser Tiefbau aus einer verwunschenen Waldschlucht erhebt, soll in grauer industrieller Vorzeit der Schweinehirt Jörgen die Steinkohle entdeckt haben, die dann dem ganzen Ruhrgebiet zum Schicksal wurde. Noch heute steht ein hübsches Fachwerkhaus da, das sich fantasiebegabte Menschen prima als Heim für Schneewittchen vorstellen können – wie sie auf die sieben Zwerge wartet, die von ihrer Schicht im Bergwerk nach Hause kommen.
Schneewittchen trägt in Wirklichkeit den albanischen Namen Ardita Demiri und betreibt in dem schmucken Häuschen mit ihrem Mann Lan schon seit 1985 ein Restaurant, dessen Name Waldhaus nicht besser gewählt sein könnte. Die Dielen knarren, und blankgeputzte Gläser funkeln auf weiß eingedeckten Tischen im Licht der flackernden Flammen eines offenen Kamins und der Glühbirnen eines gediegenen Kronleuchters. Das ist gemütlich, hat aber dennoch etwas Elegantes.
Genauso wie Lan Demiris Küche, die alles andere als biedermeierlich ist. Die aufs Wesentliche reduzierte Zubereitung guter Zutaten hat er einst in Italien gelernt. Und so sind seine Gerichte stark mediterran geprägt, mit einem Hauch französischer Küche. Carpaccio gibt es da, klassisch vom Rinderfilet (14,50 Euro) oder auch vom Lachs (12,50 Euro), und eine Reihe schöner Nudelgerichte wie Spaghetti mit frischen Peperoni und Krabben in einer Hummersauce (14,50 Euro) oder Tortellini mit Rinderfiletstreifen und frischem Gemüse der Saison in einer Tomatensauce (14,50 Euro). Auch vegetarische Versionen sind dabei. Zu den „Waldhaus-Klassikern“, die die Karte ausweist, gehören u.a. zwei Fischgerichte: einen Fisch-Teller „Waldhaus“ mit 3 verschiedene Filets mit Gemüsejuliennes in „Waldhaussauce“ (22,50 Euro) und eine Bouillabaisse mit Safran, die bei dem stolzen Preis von 45 Euro für zwei Personen so einiges verspricht.
Doch mir ist an diesem kühlen Herbstabend nicht nach Strandurlaub im Märchenwald zu Mute, sondern nach heimeliger Herzenswärme. Die verspricht die Tafel mit den Tagesangeboten, auf der ich einen Sauerbraten mit Kartoffelklößen, Rotkohl und Apfelkompott (16 Euro) finde, den ich unbedingt bestellen muss.
Er ist ein Volltreffer, denn Lan Demiri ist ein Meister des Schmorens. Butterweich ist das dunkle Rindfleisch und dabei so wunderbar saftig, so dass ich nicht genug davon bekommen kann. Als ich nachfrage, wie er das so schön hingekriegt hat, meint er bescheiden: „Es war halt ein gutes Stück Fleisch.“ Drei Wochen hat er es in einer milden Beize aus Branntweinessig, Wurzelgemüse und allerlei Sauerbratengewürzen eingelegt und dann bei niedriger Temperatur lange im Backofen geschmort. Genauso perfekt ist auch der Rotkohl. Zwar nicht ganz so fein geschnitten wie es sich eine Hauswirtschaftslehrerin wünscht, zergeht er in holder Eintracht mit dem Braten auf der Zunge wie ein Stück Butter in der heißen Pfanne. Dass für das Apfelkompott vielleicht eine etwas aromatischere Apfelsorte angebrachter gewesen wäre, schmälert den Genuss nicht.
Als Vorspeise hatte ich eine Pilzsuppe mit frischen Kräutern (8,50 Euro) gewählt. Sie war hoch aromatisch und hatte eine üppige Pilzeinlage, die für ein befriedigendes Mundgefühl sorgte. Auch an verfeinernder Sahne war nicht gespart worden. Von Vor- und Hauptgang wunderbar angewärmt, machte ich mich schließlich über das Dessert her: heiße frische Datteln in einer Butter-Sancerre-Sauce, die langsam in einer vor sich hin schmelzenden, gehörigen Portion Vanilleies versanken. Serviert wurde der Nachtisch in einem monströsen Glaspokal, der mich im ersten Anblick daran zweifeln ließ, ob ich ihn leer essen könnte. Doch dann kam alles anders. Es blieben keine Dattel und kein Löffel Eis übrig.
Das Wohlbehagen, das nach sich nach diesem Essen einstellte, fand ich in einer kleinen Episode bestätigt, die ich am Nebentisch beobachten konnte. Da saß eine junge Familie, und das vielleicht zweieinhalbjährige Töchterchen stapfte durch den Raum, um den offenen Kamin einer ausführlichen Okularinspektion zu unterziehen. Dann befahl die selbstbewusste Zwergenprinzessin dem Papa mit ausgestrecktem Zeigefinger, den am Eingang bereitstehenden Kinderstuhl zum Tisch zu schleppen. Als sie dann darauf platziert worden war, disponierte die kapriziöse junge Dame jedoch um. Mit lautem Geknatsche bedeutete sie, der Stuhl mache ihr „Aua“. Prompt wurde sie auf Mamas Schoß umgesetzt. Der glückliche Ausdruck, der jetzt über das Gesicht des Mädchens ging, gab genau das Gefühl wider, das ich beim Verzehr des Sauerbratens empfunden hatte. Es war wie bei Mama, wo es doch am Schönsten ist.
-kopf
Am Bliestollen 44, 44797 Bochum. Tel. 0234. 47 53 52. Mi-Sa ab 15.00 Uhr, So ab 12.00 Uhr. Mo, Di geschlossen. https://waldhaus-bochum.de/ |
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