Der Artikel erschien erstmalig in "Essen geht aus 2013".
Die Frage, warum sein Restaurant beim Guide Michelin auf keinen grünen Zweig kommt, stellt sich Knut Hannappel nicht mehr. Alle anderen großen Restaurantführer in Deutschland verleihen ihm eine Punktezahl, die dem begehrten Michelin-Stern entspricht, nur bei der renommierten Gastro-Bibel selbst rührt sich nichts. Früher hatte Michelin ihm immerhin den Bib Gourmand verliehen, der auf ein besonders günstiges Preis-Leistungsverhältnis hinweist. Doch um den zu behalten, hätte Hannappel billiger kochen müssen, als er eigentlich kann, und so verzichtete er schließlich freiwillig darauf.
Bei Gästen und Kollegen ist der Spitzenkoch aus dem fernen Steele-Horst indes hoch angesehen. So fragte ihn z.B. die Familie Hundrieser, die in Essen und Velbert mehrere Edeka-Filialen betreibt, ob er nicht die Gastronomie in ihrem neuen Aushängeschild am Rüttenscheider Stern übernehmen wolle. Natürlich wollte er, und so stürzt er sich in das Abenteuer, ab November 2012 auch im Essener In-Stadtteil ein Bistro zu betreiben. Sein Hauptbetätigungsfeld soll aber das Stammhaus bleiben. Das Rüttenscheider Bistro wird sein Küchenchef Michael Scheil verantworten.
Ich war erstaunt, dass das nobel, aber unprätentiös eingerichtete Restaurant an der Dahlhauser Straße, das seinen Ursprung unübersehbar in einer Eckkneipe hat, an diesem heißen Sommerabend so gut besucht war. Ein älterer Herr ließ Sohn und Schwiegertochter bewirten, ein Ehepaar schwelgte in kulinarischen Urlaubserinnerungen, und drei rüstige Damen über 70 feierten Geburtstag und ließen sich den Prosecco schmecken. Knut Hannappels kreative Küche ist so leicht, dass sie sogar tropischen Temperaturen standhält.
Selbstverständlich kann man sich sein Essen selbst à la carte zusammenstellen, doch lohnt es sich, die Menüs zu probieren (3 Gänge 53 Euro, 5 Gänge 63 Euro, 7 Gänge 79 Euro). Noch besser ist es, man wählt das Überraschungsmenü (3 Gänge 53 Euro). Wenn Knut Hannappel merkt, dass der Gast ihm vertraut, läuft er zu Höchstform auf und es können dann auch mehr Gänge werden. Handwerklich ist das top, und häufig setzt er modernste Kochtechniken ein, wie etwa den Dehydrator bei der Zubereitung von köstlichen Fenchel-Chips oder beim Herstellen von lauwarmem Gurkengelee. So kam ich beim Testessen in den Genuss von sage und schreibe fünf Gängen und zwei Desserts, die das Auge erfreuten, den Gaumen verwöhnten und den Magen kaum belasteten.
Mein Reise durch Hannappels kulinarische Welt begann mit einer Variation vom Thunfisch: gebraten auf Wakamesalat, mit Sesammayonnaise, als eine Art Cannelloni-Praline und als Tatar. Jedes Stückchen dieses Fisch-Konfekts eine asiatisch angehauchte Köstlichkeit – und in das Tatar hätte ich mich hineinlegen können.
Nach den Abenteuern, die ich mit zu hartem, kaum zu kauendem Fenchel anderswo gehabt hatte, war der Bretonische Steinbutt mit Fenchelgemüse, Olivenöl-Kartoffelstampf und einer Sauce mit Bouillabaisse-Aromen eine wahre Erquickung. Witzig war eine hauchdünne, getrocknete und mit Läuterzucker aromatisierte Scheibe des Gemüses, die wie ein auf einem japanischen Teppan Yaki gebratener Hummerpanzer aussah und sich auf der Zunge wie knuspriges Löschpapier auflöste.
Dann kam eine gebraten Jakobsmuschel mit Karotten, Ingwer und Gewürz-Couscous, ein Mordstrumm. Lange hatte Hannapel mit seinem Bochumer Lieferanten darum gekämpft, um Jakobsmuscheln in solch einzigartiger Qualität von ihm zu bekommen.
Der erste Fleischgang war Himmel und Erde von Taube und Blutwurst, eine feine Variation des deftigen Traditionsgerichts, der zweite dann Hannappels Interpretation von Bœuf Stroganoff mit Rote-Bete-Canelloni, einem warmen Gewürzgurken-Gelee und Kartoffeln mit Pilzfüllung. Ergänzt wurde diese elegante Kombination noch durch ein Rote-Bete-Püree und ein Gurkenschäumchen.
Zum Schluss durfte ich gleich zwei Desserts probieren, die hauptsächlich aus Eiskrems bestanden. Das Eis war mit Sauerklee und Eisenkraut zubereitet worden. Beide waren erfrischend und säuerlich, aber ganz anders, wie man es etwa von Zitrusfrüchten gewohnt ist. Die Kräuter dafür bezieht Hannappel von einem Sammler im Sauerland. Aber auch das Nougat-Parfait war ein Gedicht.
Die Weine, die Knut Hannappel durch seinen fröhlichen Kellner Steffen Schuster empfehlen ließ, waren perfekte Begleiter zum Essen. Zu den Fischgängen schmeckte ein ideal gekühlter Grauburgunder 2011 vom Weingut Heger. Im tiefroten Fleisch von Taube und Bœuf Stroganoff spiegelte sich die Farbe der Crianza von Azabache aus der Rioja von 2008.
Wer jetzt meint, dieses Testessen wäre zu viel für einen einzigen Esser, der sei beruhigt. Alles ging leicht über die Zunge, trotz mehrdimensionaler Aromatiefe und variantenreichem Mundgefühl. Gegen die Übersättigung half ein einfacher Trick: Es gab kein Amuse gueulle.
-kopf
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