Montag, 25. Oktober 2010

Gastronomisches Kleinod: 100 Jahre Haus Wenzel in Herne-Sodingen

Haus Wenzel schließt am 31. Oktober 2015. Weitere Infos hier.

Manfred Wenzel und Jürgen Fiege stoßen
auf das Jubiläum von Haus Wenzel an.

Am letzten Freitag feierte „Haus Wenzel“ sein 100-jähriges Jubiläum. Aus Bochum war extra Jürgen Fiege von der Privatbrauerei Moritz Fiege mit einem historischen Bierwagen samt Bierkutscher angereist, um dem Wirtspaar Helga und Manfred Wenzel zu gratulieren. Im Jahr 1977 übernahmen die beiden die traditionsreiche Sodinger Kneipe, die am 22. Oktober 1910 als „Restauration Joh. Ropertz“ gegründet worden war.

Wunderbar erhaltenes Interieur
(Zum Vergrößern auf das Bild klicken.)

Der imposante wilhelminische Bau an der Ecke Saar-/Händelstraße hat die Zeitläufte unbeschadet überstanden. Weder der Zweite Weltkrieg noch die Renovierungswut der Wirtschaftswunderjahre konnten der gemütlichen gutbürgerlichen Atmosphäre den Garaus machen. Im Schankraum vorne und im Restaurationssaal hinten ist die originale Holzvertäfelung vom Anfang des letzten Jahrhunderts noch tadellos erhalten, ebenso das Jugendstil-Oberlicht im Gesellschaftsraum. Nur Theke und Meublement des Schankraums wurden in den 1970er Jahren erneuert, haben aber mittlerweile eine ganz eigene Patina angesetzt.

Helga Wenzel zeigt die Fotos von Helmut Berger

Zur Feier des Tages wurde in Erinnerungen geschwelgt. Helga Wenzel kramte ein altes Fotoalbum hervor und zeigte stolz die Fotos, die 1978 entstanden waren. Damals drehte nämlich der italienische Filmregisseur Duccio Tessari hier den historischen Ruhrgebietskrimi „Das fünfte Gebot“ mit dem Visconti-Star Helmut Berger in der Hauptrolle. Das Drehbuch hatte der Essener WAZ-Redakteur Michael Lentz geschrieben, den Film produziert seine Frau Jelka Naber-Lentz.

Auch die die Einladung zur Eröffnung vor 100 Jahren tauchte auf. Es gab ein beachtliches Menü: Ochsenschwanzsuppe, Steinbutt mit Butter und Kartoffeln, gekochter Schinken mit Spargel, Filet mit Kompott, Käse mit Brot sowie Torte. Bei der damaligen Weinkarte würden heute noch Kennerherzen höher schlagen. Es gab Rheinwein (u.a. Schloss Vollrads), Moselwein, Bordeaux (u.a. Chateau Margaux für 4 Mark, heute kann ein Pülleken je nach Jahrgang bis 1300 Euro kosten) und Schaumwein (u.a. Kupferberg Gold und Henkell trocken).

Helgas Spezialität: Brathering

Damals wie heute ist die Kneipe ein sozialer Treffpunkt in Sodingen. Vereine treffen sich hier, Rentner kommen zum Frühschoppen, selbst die Genießervereinigung Slow Food trifft sich hier alljährlich zu Beginn der Fastenzeit zum rituellen Brathering-Essen. Denn die sind die Spezialität von Helga Wenzel, die sonntags auch ein Menü dreigängiges Mittagessen anbietet – für 6 Euro.

Wirt mit Leib und Seele: Manfred Wenzel

Hoffentlich finden Helga und Manfred Wenzel einen Nachfolger, der das traditionsreiche Haus weiterführt. Die beiden sind in ein Alter gekommen, in dem sie den Ruhestand verdient haben, der über kurz oder lang ansteht. Aber es wäre schade, wenn die Kneipe zumachen müsste. Und noch schlimmer wäre der Gedanke, wenn die Versatzstücke dieses Kleinods der Ruhrgebietsgastronomie ausgeschlachtet würden und vielleicht in einem Kneipenneubau in der Hauptstadt als Alt-Berliner-Romantik herhalten müssten. Aber noch ist es nicht so weit.

Genießen die Gemütlichkeit: Gäste im Haus Wenzel

3 Kommentare:

  1. Toller Bericht! Schade, dass solche nostalgischen Kneipen/Restaurants mehr und mehr verschwinden. Auch der Hinsweis auf das Eröffnungsmenü läßt einem das Wasser im Mund zusammen laufen. Das war noch echte Slow Food küche.

    AntwortenLöschen
  2. Und ich erst! Wirklich schade, daß wir nicht dabei sein konnten!

    AntwortenLöschen