Dienstag, 13. Dezember 2011

Restaurantführer: Das Ruhrgebiet geht aus

Im Journalisten-Blog „Ruhrbarone“ hat der Genießer einen Artikel über die Geschichte der „Geht Aus“-Restaurantführer aus dem Überblick Verlag veröffentlicht (klick hier). Der Text wurde von der Redaktion bearbeitet. Deswegen folgt hier das Original.

In diesem Herbst ist der Restaurantführer Essen geht aus zum zehnten Mal erschienen. Das opulente Werk ist das Flaggschiff einer Reihe von Restaurant- und Shoppingführern fürs Ruhrgebiet, die die neu gegründete Überblick Medien GmbH in Dortmund herausbringt. Die Geschichte dieser Hefte reicht zurück bis in die Ära der großen Stadtmagazine.

Es war wieder einmal eine glänzende Party. Am 14. November hatte sich die Crème de la crème der Essener Gastronomie im Parkhaus Hügel zu Füßen des legendären Krupp-Stammsitzes eingefunden, um das Erscheinen der Ausgabe 2012 von Essen geht aus zu feiern. Eingeladen hatten der Überblick Verlag  und Chefredakteur Peter Erik Hillenbach, die Häppchen lieferten u. a. Berthold Bühler und seine neuer Küchenchef Eric Werner vom Kettwiger Zwei-Sterne-Haus Résidence und Hauskoch Suvad Memovic, und auch der frischgebackene Sternekoch Nelson Müller schneite vorbei.
Drei Wochen zuvor hatte ein ähnlicher Event hoch über den Wolken von Dortmund stattgefunden. Da wurde das Erscheinen des Schwesterblattes Dortmund geht aus im obersten Stock des Harenberg City Centers gefeiert. Die Erscheinungsparty von Bochum geht aus fand am 5. Dezember statt in der VIP-Lounge des rewirpower-Stadions statt. Auf den ersten Blick sieht das alles wie business as usual aus. Essen geht aus erscheint immerhin zum zehnten Mal, Dortmund geht aus mit Lücken zum sechsten Mal, lediglich Bochum geht aus ist eine Premiere.

Geschichte

Und dennoch steht hinter diesen Heften eine verschlungene Geschichte, die ...
bis in die 1970er Jahre zurück reicht. Damals war eine ganz neue Art Gattung regionaler Zeitschriften in Deutschland erschienen, die das Lebensgefühl der Revolte von 1968 und das Interesse an Politik, Kultur und Jugendkultur widerspiegelte und miteinander verband: die Stadtmagazine. Herzstück dieser Gattung war ein regionaler Kulturkalender. In seiner politischen Radikalität war der Pflasterstrand in Frankfurt wegweisend, als Kultur- und Filmzeitschrift der Berliner Tip. In NRW entstanden 1978 das MARABO MAGAZIN im Ruhrgebiet und der Überblick in Düsseldorf.
Um nicht allein auf die lokalen Anzeigen angewiesen zu sein, schlossen sich die Stadtmagazine zu einem Verbund zusammen, der es möglich machte, überregionale Markenartikler für die Schar der individuellen Hefte zentral zu akquirieren und den Mitgliedern Gebietsschutz bot. Im Lauf der Zeit änderte sich dieser Verbund immer wieder, schließlich sollte er Mega Kombi heißen.

Konzept

In den frühen 1990er Jahren waren die einst in der alternativen Schublade gegründeten Stadtmagazine schließlich ein etablierter Bestandteil der deutschen Medienlandschaft, und die Verlage suchten Wege zur Konsolidierung und Diversifikation. Besonders erfolgreich war der Verlag des Magazins Auftritt mit seinem jährlich erscheinenden Restaurantführer Frankfurt geht aus. Die Restaurants der Stadt wurden von unabhängigen Testern anonym besucht, und aus den Testergebnissen wurden Rankings der verschiedenen Küchenarten zusammengestellt, die schließlich die besten Läden auswiesen. Dieses Konzept diente der Frankfurter Verlag auch anderen Stadtmagazin-Verlagen an. Neben den Lizenzgebühren ging es auch darum, die verschiedenen lokalen Hefte mit Hilfe der Anzeigen-Kombi dann gemeinsam überregional zu vermarkten.
Auf besonders fruchtbaren Boden fiel diese Idee in der kaufkraftstarken und kulinarisch bestens bestückten nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt Düsseldorf. Das vom Überblick Verlag, der mittlerweile dem Toten-Hosen-Manager Jochen Hülder gehörte, herausgegebene Magazin Düsseldorf geht aus schlug ein wie eine Bombe. Nach seinem Vorbild wurden bald auch Shoppingführer herausgebracht. Das Ruhrgebiet tat sich hingegen schwerer. Die MARABO-Verleger Christian Hennig und Günter Macho brachten zwar ab 1994 Ausgehen im Ruhrgebiet (Chefredaktion: Peter Krauskopf) heraus, doch das Projekt stieß schon bald an die Grenzen der Region. Als Ganzes war das Ruhrgebiet – wie in vielen anderen Aspekten – auch in Sachen Gastronomie viel zu groß und inhomogen, um es in einem Heft darzustellen.

Umbruch

Aber in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre hatte sich die Marktsituation für die Stadtmagazin-Verlage grundlegend geändert. Gesellschaftlich und technologisch war nichts mehr wie in den 70er Jahren. Das Publikum begnügte sich mit den Veranstaltungskalendern der kommerziellen Gratisblätter, die als scharfe Konkurrenz zu den anspruchsvollen Verkaufstiteln entstanden waren und bezog seine Informationen zunehmend aus dem Internet. Und auch die Werbebranche hatte sich geändert. Die Tabak-Industrie, eine der drei wichtigsten Einnahmesäulen der Verlage, zog sich im Rahmen der immer kritischer werdenden Diskussion über die gesundheitlich schädigende Wirkung des Rauchens zusehends aus der Werbung zurück. Die Musikindustrie begann, die Macht des Internets zu spüren, und auch die Filmindustrie orientierte sich mit dem Erfolg der Multiplexkinos um: vom feinen Arthouse- zum Massenpublikum. Auf der Strecke blieben dabei die Stadtmagazine.
Um die Jahrtausendwende stellte der Überblick Verlag das Erscheinen des Düsseldorfer Stadtmagazins ein und ersetzte es kurzzeitig durch ein Gratisblatt, konnte sich aber weiterhin auf den erfolgreichen Restaurantführer Düsseldorf geht aus stützen. Expansion war angesagt, nicht zuletzt um den neuen Teilhaber, den Essener Druckerei-Konzern VVA, ins Boot zu bekommen, der kurz darauf alle Anteile des Überblick Verlags übernehmen sollte. So erschien 2002 erstmalig Essen geht aus. Das war möglich geworden, weil der Bolero Verlag mit dem MARABO MAGAZIN im Jahr 2001 in ernsthafte Schwierigkeiten gekommen war und nach fast 25 Jahren die Zeitschrift an den Essener Druckvorlagen-Hersteller Frank Dittmann abgeben musste. Dittmann entschied anders als in Düsseldorf. Er signalisierte, dass er kein Interesse daran habe, Ausgehen im Ruhrgebiet, das bislang nur zweimal erschienen war, weiterzuführen. Das MARABO MAGAZIN führte er noch bis 2005 mit dem Chefredakteur Peter Krauskopf weiter.

Restaurantführer

In die Lücke, die Ausgehen im Ruhrgebiet hinterließ, stieß 2002 der Überblick Verlag mit Essen geht aus und zwei Jahre später Dortmund geht aus. Was die beiden Hefte erfolgreicher machte als ihren Vorgänger, war sicherlich, dass sie sich auf eine Stadt konzentrierten und nicht das gesamte Ruhrgebiet schultern wollten. Besonders Essen hatte sich mittlerweile zu einem kulinarischen Zentrum im Ruhrgebiet entwickelt, das sich auch deutschlandweit behaupten kann.
Die Chefredaktion der beiden Hefte übernahm Peter Erik Hillenbach, wie Peter Krauskopf langjährig in der Chefredaktion von MARABO tätig. Seine ersten Erfahrungen als Restaurantkritiker hatte er bei Ausgehen im Ruhrgebiet gesammelt. Neben Essen geht aus hatte der Überblick Verlag noch weitere ähnliche Restaurantführer herausgebracht, u. a. in Hamburg, Baden-Baden, Basel und vor allem auf Mallorca. Um den angewachsenen Verlag zu reorganisieren, wurde 2010 Sven Merten, der bislang bei Harenberg in Dortmund gearbeitet hatte, als Geschäftsführer engagiert.

Zerschlagung

Doch Merten erlebte eine böse Überraschung. Kurz nach seinem Amtsantritt musste die Muttergesellschaft VVA in die Insolvenz gehen. Chefredakteur Hillenbach, der unter diesen Umständen keine Zukunft mehr für sich sah, verließ den Überblick Verlag und gründete zusammen mit der futec AG den an Dortmund geht aus angelehnten Restaurantführer Dortmund genießt. Merten brachte im Schatten der VVA-Insolvenz mit einer neuen Mannschaft noch einmal Essen geht aus heraus, bevor der Überblick Verlag verkauft wurde.

Das geschah schließlich durch Zerschlagung des einstigen Düsseldorfer Szene-Verlages. Die Rechte an den lukrativen Heften Düsseldorf geht aus und Mallorca geht aus sowie Düsseldorf kauft ein und Kinder in Düsseldorf gingen an den NDV Verlag, eine Tochter der Rheinischen Post mit Sitz in Neuss, die Rechte des gesondert erschienen RUHR2010 geht aus an die Essener Agentur PubliKom Z. Die Rechte an dem Namen Überblick sowie an Essen geht aus und Dortmund geht aus gingen an die neu gegründete Überblick Medien GmbH, eine Tochter der Mediengruppe Lensing (Ruhr Nachrichten). So kommt es, dass die einstige Düsseldorfer Blüte Überblick ihren Boden jetzt in Dortmund gefunden hat. Um die Verwirrung komplett zu machen: Seit Dezember bringt der NDV Verlag wieder ein Stadtmagazin mit dem Titel Düsseldorf im Überblick als Kiosk-Titel heraus. Und aus der Mannschaft, die die Zwischen-Ausgabe von Essen geht aus erstellt hatte, ging u.a. die Redaktion des neuen im Klartext Verlag erscheinenden ruhrgebietsweiten Kulinarik-Magazin Revier für Genießer von Chefredakteur Michael Köster hervor.

Zukunft

Im neuen Überblick Verlag haben Sven Merten und Peter Erik Hillenbach wieder zusammengefunden. Merten ist Verlagsleiter, und Hillenbach wie eh und je Chefredakteur von Essen geht aus und Dortmund geht aus. Mit der futec AG, für die Hillenbach zwischenzeitlich Dortmund genießt gemacht hat, wurde man sich einig. Das Heft ist ins neue Dortmund geht aus integriert worden.
Für die Zukunft hat der neue Überblick Verlag noch einige Projekte auf Lager, Stadtmagazine, Einkaufs- und weitere Restaurantführer. Mit dem im Dezember erschienen Bochum geht aus gibt es seit Ausgehen im Ruhrgebiet auch endlich wieder ein Blatt, das sich der Stadt im mittleren Ruhrgebiet widmet. Schließlich hat Bochum mit dem Bermudadreieck ein Gastronomie-Viertel, das im Ruhrgebiet Maßstäbe setzt.

Der Artikel erscheint in ähnlicher Form in der nächsten Ausgabe des Wirtschaftsmagazin Ruhr.

3 Kommentare:

  1. Endlich verstehe ich mal alles...
    Herwig Niggemann

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  2. Ich sach nur: ANGEKOMMEN !

    Herzlichen Dank !
    PERIC und bleib
    uns erhalten !

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  3. Ha, das liest sich wie ein Wirtschaftskrimi und schreit mindestens nach Vorabendserien-Verfilmung oder Weihnachts-Vierteiler. Vielen Dank, Peter! Ist ein Stück Kulturgeschichte des Ruhrgebiets, das zu selten erzählt wird.
    Wenn man wollte, könnte man es allerdings noch komplizierter machen, lieber Herwig Niggemann: Im Absatz "Umbruch" steht, dass die Großdruckerei VVA durch Expansion "ins Boot geholt" werden sollte. Ich denke, die VVA hat schlicht ihre Druckschulden eingetrieben und den säumigen Überblick Verlag einfach gefressen – um dann mit der verlegerischen Aufgabe der Expansion letztlich überfordert zu sein; davon gibt es viele Beispiele in unserer Branche.
    Und danke, Günther, für die aufmunternden Worte. Die Arbeit an den drei aktuellen Magazinen hat so viel Spaß gemacht, dass ich mir diesen gewiss so schnell nicht mehr nehmen lassen möchte. Grüße!

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