Der Text erschien erstmals in „Ausgehen im Ruhrgebiet 1996“.
Das Restaurant gibt es nicht mehr.
Der Besuch musste aus Termingründen am ersten Tag nach der Sommerpause stattfinden , als sich die Restaurantcrew noch nicht wieder auf den Arbeitsalltag eingestellt hatte.
Um den Radiospot eines Großoptikers abzuwandeln: Es gehört nicht viel dazu, sich viel Geld einzustecken, ins „Da Raffaele“ nach Dortmund zu fahren und italienisches dolce vita zu verlangen. Das Ambiente der Villa der langen Wittbräucker Straße passt glänzend zu ihren Gästen mit den italienischen Designerbrillen. Die Wände sind aufwendig postmodern marmoriert (was ungemein gut zu den Wasserflecken in der Herrentoilette passt – oder ist da dem Innenarchitekten nur ein überwältigender Realismus gelungen?) und von kleinen Halogenstrahlern erleuchtet, die mit neckischen Stofffetzen beschirmt sin, die an zerrissene Damenstrümpfe erinnern. Eng stehen die Tische beieinander, der Kellner trällert italienische Volksweisen. Links plaudern zwei Damen mit Brigitte-Frisur und Schneider-Kostümchen miteinander, links turtelt ein verliebtes Pärchen Anfang vierzig, auf dass das karrierebedingte Singledasein wenigstens für den heutigen Abend vergessen wird. Man ist angestrengt heiter, und ich kann nur sarkastisch werden.
Dabei hatte ich mich doch, wie anscheinend alle anwesenden Gäste, auf das Ende der Sommerferien und den Besuch des wieder geöffneten „Da Raffaele“ gefreut. Immerhin stand das Lokal im letzten „Augehen im Ruhrgebiet“ in der TOP TEN Italien exklusiv auf Platz 3, und das schien eine freudige Erwartung durchaus angesagt, Und dennoch geriet der Abend aus den Fugen, denn die Küche schien mit der Vorfreude der Gäste nicht fertig zu werden.
Um es kurz, aber herzlos zu machen: Der „warme Scampi-Salat mit Linsen“ war kaum angemacht; erst, als ich die Linsen beiseite geschaufelt hatte, kam eine Lache Aceto Balsamico zum Vorschein. Der „Meeresfrüchtesalat“ bestand zu 94 Prozent aus sauer eingelegten Tintenfischringen, die in ihrer mächtigen Anhäufung kaum zum Verzehr anregten. Über das „Kalbsfilet in Honigsauce mit Nudeln und Gemüse“ gab’s nicht viel zu meckern, höchstens, dass die Sauce schon ziemlich faltig war – doch das möchte ich der Konsistenz des Honigs zuschreiben. Die Champagnersauce zum Lachsfilet hingegen hatte ein richtige Haut – sie war schlichtweg kalt, während der Fisch lauwarm war und jedes Aroma verloren hatte. Warum diese beiden Mahlzeiten mit ein, zwei Gläschen Wein, Nachtisch und Kaffee knapp 200 Mark kosteten, weiß ich nicht.
Kiebitzige Blicke an die Nebentische verstärkten den frustrienden Eindruck. Die beiden Damen stocherten lustlos in ihren Salaten herum und bemerkten erst, als die eine fragte: „Schmeckt‘s dir überhaupt?“, dass sie eigentlich zum Essen hergekommen waren – dabei sollte man in einem guten Restaurant doch über dem Essen das Reden vergessen. Der Frischverliebte auf der anderen Seite fühlte sich sogar animiert, vor seiner Freundin den Larry rauszulassen und wegen ihres laff gewürzten Nudelteller die Lautstärke im Lokal mit einem noch lauteren „Pfeffer!“ zu übertönen, worauf der Kellner flugs mit einer überdimensionalen Designer-Pfeffermühle kam, aber leider das falsche Gericht bepfefferte.
Musste das alles sein? Mit lockerer Lebensfreude hatte das nichts zu tun.
-kopf
Wittbräucker Straße 789, 44265 Dortmund
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