Freitag, 16. Juni 1995

Aus dem Archiv: Leonardo

Der Text erschien erstmals in „Ausgehen im Ruhrgebiet 1996“.
Das Restaurant gibt es nicht mehr.

Hier wird der Restauranttester zum Stenographen. Die gedruckte Speisekarte, die Patron Igor Albanese, seines Zeichens auch Trüffelexperte und Musik-Impresario, seinen Gästen vorlegt, umfasst kaum das, was die Küche des italienischen Bistro-Restaurants „Leonardo“ in Rüttenscheid ausmacht. Also musste ich, um nach dem ein oder anderen Gläschen gutgekühlten Gavi di Gavi nicht alles zu vergessen, den Stift zücken, um das Tagesangebot von der Tafel an der Wand abzuschreiben. Mit viel Appetit hatte ich zuvor „Gambas und Seeteufel auf grünem Salat mit Hummersauce“ genossen, ein äußerst gelungenes Beispiel anspruchsvoller Bistro-Küche. Ich hätte mich allerdings auch für „Lammrücken mit Knoblauch auf gebratenem Blumenkohl“, „Maishähnchenbrust mit Serviettenknödel“, „Steak vom Zackenbarsch auf Blattspinat an Vermouthsauce“ oder „Meeräsche mit Lachsröllchen, Broccoli und Vichysauce“ entscheiden können.

Mit 69 Quadratmetern ist das „Leonardo“ sicherlich eines der kleinsten italienischen Restaurants in Essen, sicherlich aber eines der amüsantesten. Die lärmende, heitere Atmosphäre, die in dem hellen, lichten Lokal herrscht, könnte problemlos den Hintergrund für einen Bistro-Werbespot abgeben. Die Bedienung in langer Kellnerschürze und weißem Hemd schlängelt sich mit gekonntem Hüftschwung zwischen den engstehenden Tischen hindurch, an denen fröhliche Gäste leichte, aber schmackhafte Kost zu sich nehmen. Ein Kellner im roten Blazer kommt dezent ins Schwitzen, und wenn schon mal eine Weißweinglas umkippt und sich auf die teure Lederjacke einer eleganten Rüttenscheiderin ergießt, dann eilt eine resolute Dame hinter der Theke hervor und holt einen Putzlappen, um den Schaden eigenhändig zu beheben. Man ist schließlich Stammgast.
-kopf

Zweigertstr. 55, 45130 Essen-Rüttenscheid

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