Donnerstag, 1. Juni 1995

Aus dem Archiv: Alt Nürnberg

Der Text erschien erstmals in „Ausgehen im Ruhrgebiet 1996“.
Das Restaurant gibt es nicht mehr.


Auch wenn Jürgen Scheffran schon eine Leidenschaft hat, jetzt könnte jetzt eine dazukommen. Der Patron des „Alt Nürnberg“ hat sein Herz nicht nur an den Herd verloren, sondern auch an den Computer. „Nächtelang sitze ich vor dem Ding mit einem guten Fläschchen Wein und probiere neue Programme aus“, seufzt er und bedauert hinter vorgehaltener Hand, dass der Schnäppchenmarkt einer Computerladenkette in Wattenscheid nicht mehr da ist, in den er früher immer gern zum Stöbern gefahren ist und sich vorher bei „McDonald’s etwas reingeschoben“ hat.

Sein Haus weiß er schließlich in guten Händen. Mit Françoise Ellrich als Küchenchefin und Sonja Schromek im Service ist weiterhin jene Qualität garantiert, die das „Alt Nürnberg“ seit Anfang der 80-er Jahre zu einer der ersten Adressen in Bochum gemacht hat. Hinter den Butzenscheiben des nicht mehr so ganz neuen Neubaus gegenüber dem Bochumer Schauspielhaus ist traditionell gemütliche Gastlichkeit mit einem Hauch Nostalgie angesagt.

Verwiesen wir im letzten „Ausgehen im Ruhrgebiet“ auf die asiatischen Akzente der Karte, so herrscht bei dem diesjährigen Testbesuch das Mediterrane vor. Basilikum, Mozzarella, Parmigiano und Olivenöl harmonieren wunderbar mit dem schönen Sommerwetter draußen vor der Tür, etwa bei den „Gebratenen Garnelen auf Mozzarella und sonnengetrockneten californischen Tomaten mit einer Basilikumvinaigrette“ oder anderen Vorspeisen wie Rinderfiletcarpaccio oder einer „Fischsuppe provençalische Art“.

Bei den Hauptgerichten ist jenseits des französischen auch ein leiser regionaler Einfluss zu bemerken. Das „Lachsfilet im Crêpemantel“ wird auf einer leichten Sauerampfersauce mit frischen Gartengemüsen serviert; Flusskrebse, im Ruhrgebiet ursprünglich eine rheinische Spezialität, werden ebenfalls in Crêpeteig gewickelt und – natürlich – mit Basilikumsauce gereicht. Den „Kaninchenrücken im Wirsingmantel“ kann man getrost als regionales Gericht preisen. Die kugelrunde Kohlroulade wird auf einer deftigen, gut sauren Champagner-Senf-Sauce serviert. Als deftig erweist sich auch die Himbeersauce des Desserts, doch der „Mohr im Hemd“, ein saftiges Schokoladenküchlein, fängt das durch die wunderbare Unsüße wieder auf. Überhaupt gefallen die Kleinigkeiten, das Amus geuelle, ein Scheibchen Schinken mit Zwiebeln, und ein Sorbet zwischen den Gängen, das die angeregten Geschmacksnerven wieder abkühlt.

Jürgen Scheffran kann seinen Gästen sicherlich die originellste Weinkarte Bochums vorlegen. Sie schließt mit dem 71-er und 73-er Mouton Rothschild Rothschild sowie einem Romanée-Conti-Gewächs zu ca. 600 Mark ab. Vorher jedoch wird der Weinliebhaber in die Neuen Welten des Weins, in die USA, nach Australien und nach Südafrika entführt.
-kopf

Königsallee 16, 44789 Bochum

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