Donnerstag, 2. Juni 1994

Aus dem Archiv: La Botte

Der Text erschien erstmals in „Ausgehen im Ruhrgebiet 1994/1995“.
Das Restaurant gibt es nicht mehr.


Die bemerkenswerteste Fähigkeit eines Künstlers ist es, wenn er sein reizüberflutetes Publikum zum Staunen bringt. Bei einem Maler sind es die weit aufgerissenen Augen des Betrachters, die einen solchen Erfolg dokumentieren, bei einem Autobauer der empathische Ausruf „Boah ey!“ des Autokäufers und bei einem Koch – wegen der mangelnden Kapazität der Verdauungsorgane – ein leicht resigniertes „Hmmm, war das lecker“ des Essers.

Hat man sich erst einmal an der Theke mit dem Pizzaofen des Dortmunder Restaurants „La Botte“ vorbei geschlängelt und entweder im Souterrain oder in der Bel Etage Platz genommen, fällt einem etwas auf, was man auf den ersten Blick vielleicht nickt als lukullisches Qualitätsmerkmal erkennt: Hier essen erstaunlich viele Italiener (und manchmal etwas Borussia-Prominenz). Und dann wählt man ganz beiläufig etwas von der Karte, was man immer wieder gern isst und von dem man meint, alle Geschmacksvarianten zu kennen, und kommt aus dem Staunen nicht heraus. Im Altbekannten entdeckt man neue Welten, in der Normalität das Wunderbare.

Die gemischte Antipastiplatte ist feinwürzig, die Paprika schmeckt nach Paprika, die Tomate noch Tomate, das Olivenöl nach Olivenöl. Und dann die Hauptgerichte: Saltimbocca mit Parmaschinken in Weißweinsauce und Lachs vom Grill. Das Kalbfleisch ist zart wie Sahne, die Hülle aus Parmaschinken hat den Saft erhalten und die Weißweinsauce nicht mit Fett und Salz überschwemmt, so dass sie ganz wunderbar nach Weißwein schmeckt. Der Lachs zergeht auf der Zunge und verleitet sogar eine Vegetarierin aus Tierliebe zur genussreichen Inkonsequenz. Und die Gemüsebeilage ist leicht, knackig und gar, der Käse des Kartoffelgratins verleiht den Kartoffeln einen wunderbar nussigen Geschmack und nicht etwa eine zweite Ration Salz.

Und ringsum tobt das Restaurantleben. Leute kommen, gehen, lachen, essen, und man hat das Gefühl, in all dieser Hektik ist ein Künstler am Werk.

-kopf


Beurhausstr. 21, 44137 Dortmund

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen